Seit fünf Jahrzehnten Schule des Lebens

„Wenn sie es pädagogisch begründen können, dürfen die Kollegen es tun.“ Schulleiter Jörg Fröscher fördert die Eigenständigkeit

In Hirschlanden wird in mancher Hinsicht anders gelernt als in anderen Bildungseinrichtungen. Damit hat sich die Theodor-Heuglin-Schule nicht nur Freunde gemacht. Von Franziska Kleiner - Stuttgarter Zeitung 18.06.2016

Die Theodor Heuglin-Schule (THS) und Jörg Fröscher gehören untrennbar zusammen. Der 62-Jährige war Zeit seines Berufslebens nie an einer anderen Schule, seit 1999 ist er ihr Rektor. Fröscher führt die Schule im Sinne seines Vorgängers Siegfried Stegmaiers weiter.

Heute ist die einstige Grund- und Hauptschule eine Gemeinschaftsschule: Sie besteht seit 50 Jahren, was Anlass ist für ein zweitägiges Fest. Dabei steht vor allem die Gegenwart im Mittelpunkt. Doch schon Fröschers Vorgänger Stegmaier hatte sich offenbar nie mit dem Status quo zufrieden gegeben. Er habe immer darauf geschaut, was die Zukunft bringen werde, so Fröscher. Staatliche Richtlinien legte er dabei „stets zu Gunsten unserer Schule“ aus. Als landesweit erste Schule veranstaltete Stegmaier Ende der 1970er Jahre einen pädagogischen Tag am Bodensee. „Das war verboten.“ Doch Stegmaier erteilte seinen Lehrern kurzerhand eine Dienstreisegenehmigung. Da er selbst – aufgrund des Verbots – keine erhalten würde, fuhr er eben privat.

Immer wieder waren die THS und Stegmaier vorne dran. Unter Fröscher ist es heute nicht anders: Als erste Schule im Ort führte sie mit Hilfe der Stadtverwaltung die Budgetierung ein, verantwortete fortan selbst ihren Etat. 1982 dann wurde die Schulglocke abgeschafft. „Das war bis dahin undenkbar. Schule und Glocke haben zusammengehört“, so Fröscher. Heute ist auch dieses keine Besonderheit mehr: Warum sollte alles zwanghaft in einen Dreiviertelstundentakt gepresst werden?

Der Rektor hält seine Lehrer dazu an, im Kind das Individuum zu sehen. Den Pädagogen erlaubt er dafür eine große Selbstständigkeit im Handeln, so lange es in den Gesamtrahmen passt: „Wenn sie etwas pädagogisch begründen können, dürfen sie es tun.“ Seit rund zwei Jahrzehnten, lange bevor Inklusion landesweit diskutiert wurde, kooperiert die Schule zudem eng mit der Haldenwang-Schule in Leonberg, einer Schule für geistig behinderte Kinder. Damit waren bald die Grundlagen gelegt, die heute in der Gemeinschaftsschule tragen. Der Schulträger, die Stadt begleitet die THS wohlwollend. Denn damals wie heute ist die Schulleitung um die Integration der Schule innerhalb des Ortes darum bemüht, ein ums andere Mal „Vertrauen aufzubauen, in das, was wir machen“, wie es Jörg Fröscher formuliert.

Das bedeutete aber nicht, dass er sich nicht immer wieder erklären muss für das Neue, ob gegenüber Rektorenkollegen oder im Gemeinderat. In Bezug auf den millionenteuren Umbau war es nicht anders. Das Containerdorf für die Grundschüler wird derzeit aufgebaut, die Pavillons werden Anfang August abgerissen. Mit dem Neubau wird im Frühjahr 2017 begonnen, ehe im September 2018 die Schüler einziehen.

Immer wieder war die dringend notwendige Gebäudesanierung aus finanziellen Gründen verschoben worden. Nun soll die Gemeinschaftsschule auch in Bezug auf ihr Gebäude zukunftssicher gemacht werden. Inhaltlich ist sie bereits auf diesem Weg, etwa im Hinblick auf Industrie 4.0. Die Frage sei doch, wie die Arbeitswelt 2030 aussehe , sagt Fröscher. „Wenn die Schule keine Hilfe gibt, werden wir Schüler entlassen, die nicht klar kommen.“ Den Kindern das Rüstzeug mitzugeben, um als Persönlichkeit zu bestehen, ist Fröschers Anliegen. Demokratieerziehung, und eine Leistungsbeurteilung, die mehr ist als eine nur nach Noten, gehören für ihn deshalb ebenso dazu, wie die Antwort auf die Frage, was Kinder wissen und welche Hilfsmittel sie beherrschen müssen, um sich Wissen zu erschließen. Diese Frage der Schulentwicklung ist in der THS noch unbeantwortet. Da sind ihnen vor allem die Skandinavier und Chinesen voraus.

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